Corona begünstigt neue Unterrichtsform



Den Fernunterricht hatten vor Corona die wenigsten Pädagogen auf dem Schirm. Jetzt wollen plötzlich viele daran festhalten.

Niklaus Rüegg – Das Thema Fernunterricht lag in letzter Zeit, unabhängig von Corona, in der Luft. Der Schulleiter der Regionalen Musikschule Liestal bei Basel, Frank Josephs, wollte bereits im vergangenen Jahr an einem Lehrerkonvent eine Diskussion darüber anregen. Inzwischen wurden die Musikschulen von der Realität eingeholt. Am Donnerstagabend vor dem Lockdown kam vom Kanton die Mitteilung, dass die Schulen ab Montag zu schliessen waren. Übers Wochenende wurde kurzerhand auf Online umgestellt. Es lief weitgehend problemlos. Nur gerade zirka 1 Prozent der Beteiligten, Eltern und Lehrpersonen, haben sich dagegen gewehrt. Josephs zeigt sich beeindruckt: «Normalerweise gibt es bei Neuerungen Arbeitsgruppen, Diskussionen und Testläufe und es dauert oft Jahre bis etwas Neues eingeführt werden kann».
Nach der Wiederöffnung der Schulen am 11. Mai ist das Thema Online aber nicht wieder vom Tisch. Die Lehrpersonen haben die Vorteile dieser Lernform zu schätzen gelernt und wollen sie beibehalten: «Lehrpersonen haben mich gefragt, ob sie den Fernunterricht unter bestimmten Umständen weiter anbieten dürfen», berichtet Josephs. In der Tat sieht er einige Situationen, in denen dieser – sei es als Notlösung oder als Unterrichtsergänzung – eine willkommene Variante sein dürfte. Der Schulleiter wird das Thema in den nächsten Monaten auf verschiedenen Ebenen diskutieren, mit dem Ziel, eine schulordnungstaugliche Form zu finden.


Foto von Sally Ann Yeh

Unterricht über Skype gibt es schon lange
Die Violinistin und Bratschistin Sally Ann Yeh kommt aus Grossbritannien. Sie liess sich an der Royal Academy of Music, London (LRAM) bei Kenneth Sillito, in Köln bei Igor Ozim und an der Manhattan School of Music, New York, bei Oleh Krysa zur Geigerin ausbilden. Neben ihrer Konzerttätigkeit als Kammermusikerin unterrichtet sie heute unter anderem an der Regionalen Musikschule Liestal. Sally Ann hat schon seit vielen Jahren Erfahrung mit Skype-Unterricht. Sie konnte dank dieses Mediums, ohne rund um den Erdball zu jetten, mit ihren Professoren in Kontakt bleiben und fachlich sehr viel profitieren. Schon vor 10 Jahren hat sie für ihre eigenen, fortgeschrittenen Schüler*innen an der Musikschule Liestal mit einem ihrer Lehrer in Kalifornien Skype-Masterclasses organisiert. In Einzel- und Ensembleunterricht konnten die Jugendlichen enorm viel profitieren. Sie hält die Online-Variante als zusätzliche Unterrichtsform grundsätzlich für eine Bereicherung, nicht aber für einen vollwertigen Ersatz.

Frau Yeh, was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als es Mitte März hiess, dass kein Präsenzunterricht mehr stattfinden dürfe?
Mir ist durch den Kopf gegangen, was für ein Glück ich hatte, solange Jahre schon per Fernunterricht mit meinem Coach und Mentor gearbeitet zu haben. Von der Technologie her bedeutete dies für mich keine grosse Umstellung.

Sie haben eine langjährige Erfahrung mit Online-Unterricht. Was halten Sie von diesem Lernmedium?
Mit meinem Lehrer hatte ich nur gute Erfahrungen. Wir haben schon einige Jahren zuvor miteinander im Präsenzunterricht in Deutschland gearbeitet, und hatten zum Teil fast eine telepathische Beziehung. Als wir auf Online-Unterricht gewechselt haben, ist diese Telepathie weiter gegangen und ich habe seine Anweisungen immer sofort verstanden. Er hat auch so ein riesiges und inniges Wissen vom Geigenspiel, sodass er, trotz mancher technologischer Klangstörfaktoren der ersten Jahre, alles gleich verstehen und darauf reagieren konnte.
Es ist natürlich etwas anderes, wenn man dies im Rahmen der Klasse an der Musikschule umsetzen muss. Meiner Erfahrung nach sind die Schüler*innen unterschiedlich damit umgegangen. Es kommt auf ihr Alter, ihre Konzentrationsfähigkeit und das jeweilige Niveau an, wobei sie sich auch mit der Zeit daran gewöhnt und adaptiert haben.

Professor Hrachya Harutyunian, der bereits vor rund 10 Jahren über Skype mit Ihren Schüler*innen gearbeitet hatte, findet online sogar besser als eins zu eins. Teilen Sie diese Ansicht?
Nein, diese Ansicht teile ich nicht. Wie gesagt, es ist etwas ganz anders, wenn man mit Profis oder Student*innen arbeitet oder mit Kindern und Jugendlichen.

Halten Sie Online-Unterricht für eine Notlösung, oder gibt es gar Vorteile gegenüber dem herkömmlichen Unterricht?
Ich halte Online-Unterricht im Grunde gesehen an der Musikschule für eine Notlösung, vor allem ist es auf Dauer für beide Seiten sehr anstrengend!
Ein grosser Vorteil für Berufsmusiker ist die Möglichkeit über Landesgrenzen hinweg mit einer bestimmten Lehrperson zu arbeiten. Bei «Facebook Violinists» stelle ich fest, dass sogar im Schulalter viel Online-Unterricht angeboten wird, besonders in Amerika. Da sind wir hierzulande etwas hinterher.
Vorteile für mich waren, dass ich mich sehr deutlich, prägnant und präzis ausdrucken musste, damit die Schüler*innen besser oder schneller begriffen haben, was ich wollte. Zum Teil haben sie sich eher besser konzentriert als im Präsenzunterricht.

In der aktuellen Pandemie blieb den Lehrpersonen nichts anderes übrig, als online zu unterrichten. Wie erlebten Sie die Umstellung?
Bei mir ging die Umstellung sehr schnell, aber auch im ganzen Team, wir haben uns vom Freitag auf Montag umgestellt!

Wie ist diese radikale Veränderung bei den Schülern und Eltern angekommen?
Bei mir haben es die Schüler*innen und Eltern ganz schnell angenommen. Die Eltern waren, besonders bei den jungen Schüler*innen, in den Stunden dabei, und haben mitgeholfen. Alle haben sich sehr bemüht.

Was bleibt für Sie persönlich als Erkenntnisgewinn zurück?
Ich würde sagen, es braucht von beiden Seiten viel Durchsetzungswille und Kraft, um Woche für Woche die gleichen Fortschritte zu machen wie im Präsenzunterricht.  

Finden Sie, man sollte die positiven Erfahrungen mit Online zukünftig in den herkömmlichen Unterricht einbauen? Wie?
Meiner Meinung nach, sollte man Fernunterricht anbieten für jene Schüler*innen, die vorübergehend in der Schule viel zu tun haben. Für Eltern, die Schwierigkeiten haben, die Schüler*innen in die Schule und nach Hause zurück zu bringen, kann es eine zeitliche Entlastung bedeuten.
Ich werde auf jeden Fall versuchen, mich beim Präsenzunterricht genauso klar und präzise auszudrücken wie bei Online. Vor allem aber ich freue mich schon auf den lockeren, lustigen Umgang mit den Schüler*innen beim Präsenzunterricht!

Interessanter Link:
Interview mit Marion Leleu über die Tücken beim Musik-Onlineunterricht finden Sie hier.

 Michael Tatzky (Facebook) schrieb am 17.10.2020 um 19:32
Bin da doch für die reale Unterrichtsmethode!
 Florian Meierott (Facebook) schrieb am 17.10.2020 um 19:28
Ich finde rein fachlich online Unterricht fantastisch, mit disziplinierten Schülern kann ich konzentrierter arbeiten als beim Präsenzunterricht. Außerdem fordert es beim Schüler mehr Selbstständigkeit, was letztendlich der Entwicklung zugute kommt. Bei den unter 5 jährigen wird es schwieriger. Im Allgemeinen wird das menschliche von Schülerseite sehr vermisst, das kommt in ihrem Artikel auch wirklich gut heraus.
 Gunda Schallhardt (Facebook) schrieb am 17.10.2020 um 19:27
Meine Erfahrung mit Kindern im Volksschulalter zeigt mir, dass die Mehrheit mit einem Präsenzunterricht schneller vorankommt - auch Haltungsfehler lassen sich live besser korrigieren.
Immerhin ein Kind hat während Corona selbständig Notenlesen gelernt; oft fehlt aber die Unterstützung von den Eltern (fiel mir jetzt noch stärker auf).
 Elżbieta schrieb am 23.05.2020 um 08:35
Even the best equipment cannot replace lively, personal contact with the student. such lessons are just a substitute. Fortunately, many students understand this.

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